Brief an die Mutter

Ich möchte heute ein kleines Erfolgserlebnis aus meinem Praxisalltag schildern. Vielleicht macht es anderen Menschen auch Mut, die mit ähnlichen Problemen beschäftigt sind.

Das Thema ist so alt wie die Menschheit – nämlich die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Mein Fall war jetzt nicht so dramatisch wie in der Literatur, nahm aber eine überraschende Wendung, die ich durchaus berichtenswert finde. Hierzu schildere ich die Geschichte nur sehr grob:

Die junge Frau, die mich aufsuchte, ich nenne sie mal Tina, litt unter der derzeitigen Beziehung zu ihrer Mutter. Sie war aus beruflichen Gründen weit von ihren Eltern weggezogen. Ihr Vater erlitt einen Schlaganfall und ihre Mutter pflegte ihn. Weil beide in ihren Leben sehr stark eingebunden waren, sahen sie sich entsprechend selten.

Tina hatte das Gefühl, dass sie sich fremd geworden waren, und dass vom früheren innigen Verhältnis nicht mehr viel übrig war. Es kam ihr außerdem vor, als würde ihre Mutter ihr insgeheim Vorwürfe machen, dass sie so selten zu Besuch käme. In jeder Sitzung schilderte mir Tina andere „Schattenseiten“ ihrer Mutter. Zuletzt konnte sie fast nichts Gutes mehr an ihr erkennen. Aber sie hatte das große Bedürfnis, sich mit ihr auszusprechen, traute sich jedoch nicht.

Ich hatte ihr deshalb vorgeschlagen, einen Brief an sie zu schreiben, den sie aber nicht abschicken musste. Er sollte lediglich dazu dienen, sich den Kummer von der Seele zu schreiben. Tina tat dies auch und wollte ihn sogar versenden, hatte aber Angst vor der Reaktion ihrer Mutter. Sie malte es sich in den schrecklichsten Farben aus. Dabei erinnerte sie mich – sie sich aber auch selbst – ein wenig an Pumuckl.

Nach einigen Tagen schickte sie ihn tatsächlich ab und nichts von ihren Befüchtungen wurde wahr. Ihre Mutter brach nicht den Kontakt zu ihr ab. Sie machte sie auch nicht am Telefon „zur Sau“. Nein, einige Tage nach Erhalt des Briefes rief ihre Mutter an und sie sprachen sich in aller Ruhe aus. Um ähnliche Situationen nicht mehr aufkommen zu lassen, arbeitet Tina sehr an sich. Das bedeutet für sie, in Zukunft möglichst gleich über alles zu reden, was sie belastet. Außderdem versucht sie, ihre Fantasie in puncto „Schwarzmalerei“ zu zügeln. All das gelingt ihr mittlerweile ganz gut. Und sie freut sich auf den nächsten Besuch bei ihren Eltern.

Ich weiß, dass so etwas nicht immer funktioniert. Oftmals sind die Beziehungen sehr viel schwieriger und die dadurch bedingten Konflikte schwerwiegender. Aber Tina´s Fall soll auch für Menschen stehen, die sich im Reden schwer tun. Die Angst haben, die Beherrschung zu verlieren, wie z.B. in Tränen auszubrechen etc.. Oder, die sich eben beim Schreiben besser ausdrücken können. Das Wichtigste meines Erachtens ist jedoch, egal welche Form man wählt, den anderen Part mit Respekt und Höflichkeit zu behandeln und Vorwürfe zu vermeiden.

2 Gedanken zu „Brief an die Mutter“

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